Der Film, den Sie nie sehen werden
Im Jahr 1985 veröffentlichte das Magazin Métal Hurlant Nr. 107 ein Supplement mit dem Titel „Dune – das Projekt, das Sie niemals sehen werden”, verfasst von Alejandro Jodorowsky. Darin schilderte er mit Leidenschaft und Frustration, wie seine ehrgeizige Adaption von Frank Herberts Roman mangels Finanzierung aufgegeben wurde. Dieser Text, den ich in meiner Jugend entdeckte, beeindruckte mich stets durch die Kraft seines Traums und die Intensität seiner Enttäuschung – und er trug paradoxerweise zu meinem Wunsch bei, Kino zu machen.
Heute möchte ich Ihnen eine ähnliche Geschichte erzählen: die eines Projekts, das mich zutiefst beeindruckte, das aber, wie Jodorowskys Dune, niemals realisiert werden wird. Diese Reise war unglaublich – und verdient es, erzählt zu werden, auch wenn nur auf einem Blog. Hier also sind „Die außergewöhnlichen Abenteuer der Manon Korkenzieher” von Victor Jaquier.
Die außergewöhnlichen Abenteuer der Manon Korkenzieher
Projektvorstellung
Im Jahr 2012 stellte mir Victor Jaquier, ein Schweizer Regisseur und langjähriger Mitarbeiter, ein Stop-Motion-Animationsprojekt von seltener Ambition vor: Die außergewöhnlichen Abenteuer der Manon Korkenzieher (Französisch: Manon Tire-Bouchon). Sobald ich seine ersten Skizzen sah, wusste ich, dass es eine außergewöhnliche Reise werden würde. Wir planten einen Kurzfilm von etwa zwanzig Minuten, vollständig in Stop Motion gedreht, mit einer dichten, reichen, komplett handgefertigten visuellen Welt.

Synopsis
Synopsis
Die Geschichte folgt Manon, einer jungen Heldin voller Mut und Einfallsreichtum, die sich auf eine fantastische Reise begibt, um ihre Familie und ihr Dorf vor einem seltsamen Fluch zu retten. Es war ein emotional bewegender, poetischer Initiationsfilm. Die Idee war, ein fesselndes Abenteuer für alle zugänglich, aber mit großer thematischer Tiefe zu erzählen.
Manon ist ein Mädchen, das mit einer merkwürdigen Nase geboren wurde, gekrümmt wie ein Korkenzieher. In der Armut einer abgelegenen Hütte zwingen ihre Eltern – zu arm, um sie zu ernähren – sie, in einer weit entfernten Stadt zu arbeiten. In dem Glauben, ihr Aussehen bringe nur Spott und Ablehnung, verlässt Manon ihr Zuhause mit schwerem Herzen.
Auf dem Weg trifft sie ein listiges Stinktier, das ihr von einem goldenen Pilz tief im Inneren eines verbotenen Waldes erzählt. Dieser Pilz, so sagt es, habe die Macht, ihre missgebildete Nase verschwinden zu lassen. Geblendet vom Versprechen eines neuen Aussehens – und eines normalen Lebens – folgt Manon dem Stinktier arglos.




Victor Jaquier : Regisseur und Illustrator
Victor und ich hatten gerade eine erfolgreiche Zusammenarbeit beim Film Der schwarze See abgeschlossen, den ich produziert und er inszeniert hatte. Dieses Projekt hatte sein sehr persönliches Universum eingeführt, geprägt von starker visueller Fantasie und einer tiefen Affinität zu Märchen und fantastischen Erzählungen. Obwohl Der schwarze See Realfilm war, spielte Bildgestaltung bereits eine zentrale Rolle in seinem Ansatz. Der Übergang zur Animation war daher ein natürlicher Schritt. Außerdem ist Victor auch Illustrator und hatte gerade eine Zeichnungsausstellung im Bereich der Märchen veranstaltet.


Projektziele
Victor wollte eine zeitlose Arbeit schaffen, visuell spektakulär und emotional aufrichtig. Er bestand auf der handwerklichen, authentischen Dimension der Stop Motion, um eine greifbare, lebendige Realismusnote zu bringen. Hinter dem Märchen entfaltet Die außergewöhnlichen Abenteuer der Manon Korkenzieher eine scharfsinnige Reflexion über Aussehen, Normalität, Manipulation und den Wunsch nach Zugehörigkeit. Es ist ein Emanzipationsmärchen mit doppeltem Boden, bei dem man zu spät versteht, dass die Suche nach Perfektion zur Selbstaufgabe führen kann.
„Märchen haben mich schon immer fasziniert. Als Kind war ich von König und Spötter von Paul Grimault gefesselt, in dem Schönheit, Grausamkeit und Poesie kraftvoll koexistieren. Diese Kontraste inspirieren meine Geschichten bis heute.
Beim Lesen von The Uses of Enchantment von Bruno Bettelheim kam mir die Idee zu Matilda Korkenzieher. Die Erzählung folgt Matilda, einem jungen Mädchen ohne Selbstvertrauen. Im Moment des Verlassens ihres Heims, verletzlich, gerät sie unter den Einfluss von Figuren mit zwielichtigen Absichten. Im verbotenen Pilzwald offenbart ihre Initiationsreise dunkle Wahrheiten über die Welt.“
(Auszug aus Victor Jaquiers Intentionserklärung)

Produktion
Das Projekt wächst
Sehr bald überschritt das Projekt die Schweiz. Uns bewusst der technischen Herausforderung und der hohen Kosten, suchten wir schnell internationale Partnerschaften. Wir wandten uns an Se‑Ma‑For – das berühmte polnische Studio, das einen Oscar für Peter und der Wolf erhielt – sowie an Telegael in Irland und JPL in Frankreich. Jeder Schritt bestätigte das außergewöhnliche Potenzial des Films, und wir waren stolz, so viele zuverlässige Partner an Bord zu haben.
Die Bedeutung von Se‑Ma‑For
Die Zusammenarbeit mit Se‑Ma‑For war ein wahr gewordener Traum. Ihre Erfahrung – insbesondere ihre Arbeit an Peter und der Wolf – gewährleistete unvergleichliche technische Meisterschaft und künstlerische Herangehensweise. Ihre Beteiligung bestätigte die Qualität, die wir anstrebten, und bewies, dass es möglich war – wie bei Peter und der Wolf – ambitionierte Kurzformate mit hohen Budgets als eine Art TV‑Special zu produzieren. Unsere Hauptaufgabe bestand darin, einen Fernsehsender zu finden, der bereit war, in dieses kleine Juwel zu investieren.
Entwicklung
Concept Art
Die Concept‑Art‑Bilder waren Interpretationen des Universums von Victor und anderen Künstlern.



Zeichnungen & Skizzen
Zahlreiche Skizzen wurden erstellt, um das Projekt zum Leben zu erwecken, seine Welt zu präzisieren und die technischen Teams zu briefen.









Modellbau
Mehrere Figuren wurden in Volumen gebaut, um ihre Komplexität besser zu erfassen.








Storyboard
Das Storyboard ist das ultimative Dokument, das den gesamten Film Bild für Bild aufschlüsselt. Es dient als Arbeitsdokument, das es den verschiedenen Abteilungen ermöglicht, jede Einstellung und ihre Anforderungen zu verstehen.



Animatic
Das Animatic ist wahrscheinlich das dem fertigen Film am nächsten kommende Dokument. Es handelt sich um einen geschnittenen Montage von allen Einstellungen des Films, getaktet und vertont.

Elijah Wood
Eine internationale Stimme
Um die Aufmerksamkeit internationaler Co‑Produzenten zu gewinnen, benötigten wir eine weltweit anerkannte Stimme. Wir wandten uns an Elijah Wood, den ikonischen Schauspieler, der weltweit für seine Rolle als Frodo Beutlin in Peter Jacksons Der Herr der Ringe‑Trilogie bekannt ist. Über diese ikonische Rolle hinaus hat Elijah eine abwechslungsreiche Karriere aufgebaut, geprägt von unabhängigen und originellen Projekten, einschließlich Synchronarbeit und Produktion. Ich hatte das persönliche Vergnügen, nach Austin, Texas, zu reisen, um seine Stimme aufzunehmen. Elijah liebte das Projekt, und ihn zu treffen, war eine unglaubliche Erfahrung. Es war auch großer Stolz für mich, dass er bereit war, teilzunehmen.






Der unterbrochene Traum
Eine komplexe finanzielle Realität
Leider stießen wir trotz aller Bemühungen und des realen Interesses auf eine harte ökonomische Realität. Das Budget, das nötig war, um Manon Korkenzieher in dem angestrebten Niveau zu produzieren, überstieg bei weitem die Marktkapazität jener Zeit. Kein Sender war bereit, ein derart ambitioniertes Kurzfilmprojekt zu unterstützen.
Victor setzte seinen Weg fort und realisierte Der Winzer und der Tod, einen traditionell animierten 2D‑Film, der 2018 für den Schweizer Filmpreis nominiert wurde. Dieses Projekt war ursprünglich konzipiert worden, um ihm erste Erfahrungen in der Animation zu ermöglichen und so seine Legitimität als Regisseur von Manon Korkenzieher zu stärken.
So wird Die außergewöhnlichen Abenteuer der Manon Korkenzieher niemals realisiert werden. Und doch empfinde ich, jenseits der Frustration, immense Dankbarkeit für dieses Projekt. Es ermöglichte mir, groß zu träumen, außergewöhnliche Talente kennenzulernen und vor allem ein intensives kreatives Abenteuer zu erleben. Manchmal sind es nicht die Filme, die man produziert, die den tiefsten Eindruck hinterlassen – sondern jene, die man im Herzen bewahrt.
